Der Weg der Mitte

Folgenden Beitrag schreibe ich mit Zustimmung der Frau, um die es hier geht. Vielen Dank für diese Erlaubnis!

Ich schreibe aus dem Gefühl heraus, dass es nicht nur ihr so geht, sondern die eine oder andere Mutter und vielleicht ja auch der eine oder andere Vater vor ähnlichen Herausforderungen steht.

Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit einer Frau, die meine Meinung hören wollte. Es ging um sie und ihren inzwischen jugendlichen Sohn. Ich sagte ihr, ich hätte keine Kinder und wäre mir daher nicht sicher, ob ich die richtige Ansprechpartnerin für sie sei. Doch sie meinte, dass ich vielleicht gerade deswegen die Richtige sein könne.

So erzählte sie mir, dass sie ihren Sohn sehr tolerant erzogen habe. In fast alle Entscheidungen war er schon als kleines Kind mit einbezogen. Inzwischen, so sagte sie mir, wäre ihr klar, dass Kinder in so jungen Jahren auch mächtig überfordert sein können, wenn sie alles mitentscheiden sollen. Es ist gut, als Elternteil auch einfach mal kurz und klar die Richtung anzugeben.

Es ist wie es ist. Das ist die Vergangenheit und nicht mehr zu ändern. Und nun hat sie mit den Auswirkungen zu tun. Ihr Sohn ist es gewohnt, seine Entscheidungen selbst zu treffen und darin unterstützt zu werden. Er hat nicht gelernt, dass es Grenzen gibt bzw. seine Mutter welche setzt. Jetzt wollte er etwas tun, was ihr gar nicht gefällt und wollte ihre Zustimmung und Mithilfe. Sie war nun also in der Situation, dass sie nicht mehr umhin konnte, etwas zu tun, was sie seit vielen Jahren zu vermeiden versuchte: Sie musste "Nein" zu ihrem geliebten Sohn sagen.

Das war ihr schon klar. Im Kopf. Doch ihr Herz schmerzte.

Wir redeten eine ganze Weile darüber, bis sich der Knackpunkt herauskristallisierte: Sie glaubte, wenn sie "Nein" sagen würde, wäre es auch gleichzeitig ein "Nein" zu ihrem Sohn als Ganzes.

Doch Grenzen zu setzen, dem eigenen Kind klar zu sagen, was man selbst als verantwortungsvolles Elternteil gut oder eben auch überhaupt nicht gut findet, ist ein vollkommenes "Ja" zum Kind, wenn die Grenzen achtsam gesetzt werden.

Meine Gesprächspartnerin hatte bisher die Vorstellung, dass eine Mutter immer nährend, kuschelig, behütend und zustimmend sein dürfe und auch müsse. Der Vater sei derjenige, der Grenzen setze. Mal abgesehen davon, dass diese Verteilung recht unfair anmutet, wird aus ihr nichts, wenn der Vater abwesend oder gar nicht vorhanden ist. Wie soll ein Kind lernen, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren oder gar die Grenzen anderer, wenn es kein Vorbild hat?

Auch der Aspekt des Bewertens kam zur Sprache. Sie meinte, sie würde doch dann ins Bewerten kommen. Ja und? Um hier auf der Erde existieren zu können, brauchen wir das Bewerten. Aus meiner Sicht bedeutet Bewerten doch nur, dass ich feststelle, was ich mag und was ich nicht mag, was ich in meinem Leben sehen möchte und was nicht. Wenn wir ins Verurteilen kommen, dann wird eine Bewertung sozusagen zementiert und verallgemeinert und lässt keinen Spielraum mehr zu. Ein Urteil hindert uns am Leben. Eine Bewertung brauchen wir, damit wir uns definieren können und ist veränderbar. (Mehr dazu habe ich mal in meinem Blogbeitrag "Welche Auswirkungen haben Bewerten und Verurteilen auf unser Leben?" geschrieben.)

Während des Gesprächs wurde mir noch einmal klar, dass wir in Zeiten leben, in denen das Pendel zwischen den Polen in die Mitte möchte, in das Sowohl-als-auch.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde unter Erziehung tatsächlich Bevormundung, Beschneidung und Ziehen verstanden. Es setzte Ohrfeigen und Schlimmeres, wenn ein Kind nicht folgte und "Neins" waren an der Tagesordnung.

Darauf folgte die 68er-Bewegung mit ihren antiautoritären Vorstellungen. Die war wichtig und notwendig, um das Alte aufzuknacken. Doch leider gingen die antiautoritären Ideen gerne auch  so weit, dass Kinder vollkommen sich selbst überlassen waren, alles durften und überhaupt kein "Nein" mehr zu hören und keine Grenzen gesetzt bekamen.

Im Sowohl-als-auch, auf dem Weg der Mitte, ist beides nötig. Eine Mutter muss auch Grenzen setzen können. Ja-sagen, Nein-sagen, wenn es hier und jetzt angebracht ist. Es geht nicht darum, einfach nur das Gegenteil von früher zu machen. Es geht darum, dem Kind gerecht zu werden. Der Weg der Mitte ist der Weg der Aufmerksamkeit, der Achtsamkeit, der Liebe. Ein "Nein" ist ein sehr großes Geschenk einer Mutter an ihr Kind, wenn es ein Nein ist, das dem Kind tatsächlich hilft, sich besser in der Welt zu orientieren.

Ein "Nein" ist gut geeignet, sich beim eigenen Kind unbeliebt zu machen. Das auszuhalten, ist ein großer Liebesdienst und wichtig. Doch wenn das von Anfang an so gemacht wird, wenn ein Kind von Anfang an, sowohl vom Vater als auch von der Mutter, klare "Jas" und klare "Neins" bekommt, dann gibt es vermutlich gar nichts auszuhalten, weil Kinder Klarheit aus der Liebe heraus akzeptieren können und sie ihnen Sicherheit gibt.

Der Weg der Mitte, das Sowohl-als-auch ist nach meiner Erfahrung für jedes Lebensthema eine große Unterstützung. Egal, worum es geht:

  • Arbeiten - Faulsein
  • Hingabe - Selbstbestimmung
  • Freiheit - Sicherheit
  • Geld sparen - Geld fließen lassen
  • Licht - Dunkel
  • maskulin - feminin
  • ...

wir brauchen immer beide Fähigkeiten, beide Pole, um frei sein zu können und in der jeweiligen Situation neu zu entscheiden, was möchte hier und jetzt leben? Was wird gebraucht? Was möchte ich jetzt geben und wer möchte ich sein?

Der Schmerz war nach unserem Gespräch aus dem Herzen dieser Mutter verschwunden. Aus einem sentimentalen Herzen ist ein klares Herz geworden. Sie hat verstanden, dass ihr "Nein" zu dem Verhalten ihres Sohnes ein "Ja" zu ihrem Sohn als Ganzes ist.

Dennoch steht diese Mutter nun vor der Herausforderung, ihren Sohn seinen Weg gehen zu lassen, auch wenn sie nicht mit diesem Weg einverstanden ist. Hier und jetzt kann sie tun, was sie will, es kommt bei ihm nicht an, weil er sich ihr gegenüber verschlossen hat. Im Fall dieser beiden kann sie ihren Sohn nur insoweit unterstützen, dass sie ihm deutlich macht, wie sehr sie ihn liebt und für ihn da ist, wenn er sich wieder zu ihr umdreht und ihre Hilfe will. Ein Ziehen, Bevormunden und Festhalten wäre kontraproduktiv. Er muss seine Erfahrungen machen.

Selbstverständlich sind Kinder und Eltern so unterschiedlich und vielfältig wie das Leben selbst. Das heißt, jede Beziehung muss individuell betrachtet werden. Der Schritt aus der Sentimentalität hinein in eine klare und verantwortungsvolle Betrachtungs- und Handlungsweise bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich. Wenn es jahrelang versäumt wurde, Grenzen zu setzen, braucht es unter Umständen professionelle Unterstützung in diesem Prozess.

Mögen Liebe und Sanftmut gepaart mit Stärke und Klarheit mit dir sein!

Es grüßt herzlich
Tanja Richter
Seelen(t)raum - Schamanismus & Schöpferkraft

Das wahrhafte Wir
Von alten Jungfern, neuen Singles und der großen L...
 

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